Inbesondere in Bezug auf die Saktionierung der Täter*innen ist die Justiz zentral bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention.

Besuchen Sie Fortbildungen zu häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt.

Nutzen Sie ressortübergreifende Schulungen auch zur intersektionalen Vernetzung. Nutzen Sie die Expertisen aus anderen Fachbereichen und interdisziplinärer Fortbildungen. Themen können u.a. sein:

  • Opfersensibler Umgang
  • Aktuelle Handlungsleitfäden (z. B. Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien)
  • Umgang mit sexualisierter Gewalt
  • Umgangsrecht bei Fällen von häuslicher Gewalt
  • Femizide
  • Täter*innen-Strategien und Gewaltdynamiken
  • Psychosoziale Prozessbegleitung

Landesaktionsplan S. 58, S. 60; Gutachten S. 55-56, S. 85-86

Wenden Sie gesetzlich verankerte Opferrechte konsequent an.

  • Entfernen Sie die*den Angeklagte*n bei der Vernehmung von Zeug*innen aus dem Sitzungssaal (§ 247 StPO)
  • Ordnen Sie eine audiovisuelle Vernehmung von Zeug*innen bei dringender Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl der Zeug*innen an durch Vernehmung in Gegenwart der Anwesenden in der Hauptverhandlung (§§ 247a, 255a StPO)
  • Ersetzen Sie die Vernehmung in der Hauptverhandlung durch Vorspielen der audiovisuellen Vernehmung von Zeug*innen (§§ 58a Art. 1, 255a Art. 2 StPO)
  • Ermutigen Sie zur psychosozialen Prozessbegleitung (§ 406g StPO)
  • Ermutigen Sie zur Inanspruchnahme eines Verletztenbeistands (§ 406f StPO)
  • Belehren Sie Betroffene über Opferrechte (§§ 406i, 406j StPO, Nr. 174a RiStBV)
  • Ermöglichen Sie Nebenklagen (§§ 395ff StPO)
  • Informieren Sie über das Recht auf Auskunft (§ 406d StPO)
  • Informieren Sie über das Recht auf Akteneinsicht (§ 406e StPO)

Landesaktionsplan S. 58, S. 60; Gutachten S. 5, S. 88-89, S. 93-96

Vermeiden Sie Sekundärviktimisierung.

Von sekundärer Viktimisierung spricht man, wenn dem Opfer weiterer Schaden entsteht, der nicht eine direkte Folge der Straftat ist, sondern auf die Art und Weise zurückzuführen ist, wie Institutionen und andere Personen mit dem Opfer umgehen. Ein Beispiel ist die inadäquate, belastende Zeug*innenvernehmung und Konfrontation mit Täter*innen.

Ermöglichen Sie die Nutzung von speziellen Räumlichkeiten für opfersensible Vernehmungen mit audiovisueller Aufzeichnungstechnik sowie gesonderte Wartebereiche für Opferzeug*innen bei den Gerichten.

Binden Sie Betroffene für die Dauer des Strafverfahrens an psychosoziale (Frauen-) Beratungsstellen an und unterstützen Sie sie dabei, das Verfahren bis zum Ende durchzuhalten.

Vermeiden Sie Verzögerungen bei Ermittlungs- und Gerichtsverfahren.

Bei Ermittlungs- und Gerichtsverfahren zu einer in der Istanbul-Konvention erfassten Gewaltform darf es zu keinen ungerechtfertigten Verzögerungen kommen. Das Strafverfahren ist im Sinne der Betroffenen zu vereinfachen und zeitlich zu verkürzen.

Eine zeitliche Verkürzung der Strafverfahren ist durch den Einsatz von mehr sowie spezialisierterem Personal im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst sowie bei der Polizei möglich. Gewährleisten Sie schnelle und unbürokratische Kommunikation mit der Kriminalpolizei zur Gewährleistung der Opferrechte bei Eilbedürftigkeit.

Landesaktionsplan S. 78; Gutachten S. 88-89

Arbeiten Sie mit der Täterarbeit zusammen.

Die Sensibilisierung und Verbreitung von Wissen über Täterarbeit bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden und Richter*innen, die rechtlich befugt sind, Straftäter*innen zur Teilnahme an präventiven Interventions- und Behandlungsprogrammen anzuweisen, ist zentral für die Gewaltprävention. Täterarbeit ist Opferschutz!

Fachstelle Gewaltprävention Brandenburg bietet ein soziales Trainingsprogramm für Menschen an, die sich gewalttätig verhalten. Tauschen Sie sich mit der Fachstelle aus. Erteilen Sie Auflagen bzw. Weisungen, an einem Täterprogramm teilzunehmen.

Bescheiden Sie ein angemessenes Strafmaß. Alle in Artikel 46 der Istanbul-Konvention aufgeführten erschwerenden Umstände müssen in der Praxis von der Justiz wirksam angewandt werden.

Die Istanbul-Konvention fordert wirksame und angemessene Sanktionen, die der Schwere, der in ihr erfassten Straftaten, entsprechen.

Gemäß Artikel 46a der Istanbul-Konvention sind Straftaten, die gegen einen früheren oder gegenwärtigen Ehegatten, Partner*in oder von einer Person, die mit dem Opfer zusammenlebt, begangen werden, bei der Festsetzung des Strafmaßes als erschwerender Umstand zu berücksichtigen. Praktisch scheinen schädliche Geschlechterstereotype und Haltungen, die dem Opfer die Schuld zuweisen, in der deutschen Justiz fortzubestehen, wobei die Aussicht auf eine milde Strafe in Fällen von sexualisierter Gewalt gegen (Ex-)Partner*innen die wirksame Verfolgung dieser Straftaten behindern kann.

Schärfen Sie das Vorgehen gegen Femizide.

Die GREVIO Kommission verweist dabei u.a. auf Untersuchungen, die gezeigt haben, dass deutsche Gerichte dazu neigen, bei Morden „im Namen der Ehre“ leicht niedere Beweggründe festzustellen und daher den Straftatbestand des Mordes und nicht des Totschlags anzuwenden, was in der Regel zu einer härteren Bestrafung des Täters führt. Andererseits hat eine Analyse von Urteilen zu Tötungen von Frauen im Zusammenhang mit der Trennung von ihren Partnern gezeigt, dass das Vorliegen niederer Beweggründe in Frage gestellt wurde, wenn „die Trennung vom Opfer veranlasst wurde und der Angeklagte sich selbst dessen beraubt hat, was er eigentlich nicht verlieren wollte“.

Ergreifen Sie alle erforderlichen legislativen und sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Verbot der verpflichtenden Streitbeilegung und Mediation im Straf- und Zivilrecht in Fällen, die eine der unter die Istanbul-Konvention fallenden Formen von Gewalt betreffen, in der Praxis angewandt wird.

Das Bewusstsein aller an Gerichtsverfahren beteiligten Fachleute für die Machtungleichgewichte in gewalttätigen Beziehungen muss weiter geschärft werden, damit sie dies bei der Bewertung alternativer Streitbeilegungsverfahren berücksichtigen können. Versuche zur  Beilegung oder Mediation dürfen niemals die Sicherheit eines Gewaltopfers oder seiner Kinder gefährden.

Bei keiner der Gewaltformen, die in den Anwendungsbereich der Istanbul-Konvention fallen, ist ein Schlichtungsversuch erforderlich.

Beteiligen Sie sich am interdisziplinären Austausch zum Umgangsrecht.

Entwickeln Sie im Austausch mit Frauenhausmitarbeiter*innen, Fachkräften des Jugendamt und ggf. Kinderpsycholog*innen eine Strategie zum Umgang mit dem Widerspruch zwischen Opferschutz und Umgangsrecht.

Gutachten S. 83

Unterstützen Sie Forderungen nach Sondergerichten.

In Spanien wurden 2004 Sondergerichte installiert, die schnelle Verfahren ermöglichen und sich ausschließlich mit häuslicher Gewalt von Männern gegen Frauen befassen. Betroffene werden während des gesamten Prozesses geschützt und Kontakt zwischen Betroffener und Täter wird verhindert. Ein vergleichbares Konzept ist auch für Deutschland empfehlenswert.

Gutachten S. 90

Tragen Sie zur gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinsbildung bei.

Nutzen Sie die Ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle der Öffentlichkeitsarbeit, um über geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt sowie Hilfsangebote zu informieren. Weitere Informationen zur Öffentlichkeitsarbeit finden Sie hier.

Weitere Informationen für den Bereich Justiz

Geschlechtsspezifische Gewalt meint gewaltvolle Handlungen gegenüber einem Individuum oder einer Gruppe von Indi­viduen aufgrund der Geschlechts­identität. Der Begriff wird benutzt, um zu verdeut­lichen, dass gesellschaftliche Struk­turen das Risiko erhöhen, bestimmte Formen von Gewalt zu erleben. Besonders betroffen sind Frauen und Mädchen, trans, nicht-binäre und intersex Menschen, aber auch Menschen, die bestimmten sozialen Nor­men oder einem binären Geschlechter­verständnis nicht entsprechen.