Für umfassenden Gewaltschutz von Gewaltbetroffenen und ihren Kindern kommt Jugendämtern eine zentrale Rolle zu.

Sprechen Sie gewaltbetroffene Mütter proaktiv an. Seien Sie Brücke ins Hilfssystem.

Viele Frauen, die in Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern ankommen, werden durch Ämter oder die Polizei dorthin vermittelt. Das heißt, sie sind darauf angewiesen, auf ausgebildete und sensibilisierte Beamt*innen und Fachkräfte zu treffen. Was leider zu selten der Fall ist.

Beobachten Sie bei Verdacht auf Kindesmisshandlung auch die Mütter auf Gewaltvorkommnisse und sprechen Sie sie gegebenenfalls sensibel darauf an.

Gewaltsame Kindheitserfahrungen in Form von selbst erlebter körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt, aber auch in Form von Zeuginnen- und Zeugenschaft elterlicher Gewalt, erhöhen die Wahrscheinlichkeit enorm, dass Gewalt auch im späteren Erwachsenenleben erfahren oder ausgeübt wird.

Gutachten S. 80

Besuchen Sie Fortbildungen mit aktuellen und praxisnahen Informationen zum Umgang mit Familien im Kontext häuslicher Gewalt und Istanbul-Konvention.

Um die Bedürfnisse von Gewaltopfern angemessen wahrzunehmen und anzugehen, ist die Schulung aller einschlägigen Fachkräfte  von entscheidender Bedeutung.

Themen können zum Beispiel sein:

  • Gewaltdynamiken im Kontext von Kindern und ihren Müttern
  • Sensibilisierung zu häuslicher Gewalt und Erstkontakten zu Betroffenen
  • Umgangsrecht und Konflikte mit dem Opferschutz
  • Strategien von Täter*innen

Durch Schulungsmaßnahmen und eine stärkere Sensibilisierung für die Art und die Auswirkungen von Gewalt in Paarbeziehungen sowie für die erhöhte Gefahr, der die Opfer während der Trennung ausgesetzt sind, können die Risiken, die Sorgerechts- und Besuchsregelungen für weibliche Opfer und ihre Kinder darstellen können, eingehender verstanden werden.

Nutzen Sie Ihre rechtlichen Möglichkeiten, um den Schutz der Betroffenen und ihrer Kinder zu gewährleisten.

Die aktuelle Gesetzeslage des Umgangs-, Sorge- und Familienverfahrensrechts verankert zwar den Gewaltschutz noch nicht hinreichend (mehr dazu unter Bund), trotzdem gibt es Handlungsmöglichkeiten, um den Schutz der Betroffenen zu sichern.

Ermöglichen Sie begleitete Umgänge, die über das Jugendamt oder kooperative Einrichtungen, wie z.B. Erziehungsberatungsstellen, stattfinden. Es kann eine Retraumatisierung stattfinden, wenn es zu Begegnungen im Kontext von Umgängen kommt. Auch lässt sich eher vermeiden, dass Täter*innen die Kinder instrumentalisieren, über sie die noch bestehenden Beziehungskonflikte austragen, oder versuchen durch die Kinder den Aufenthaltsort des anderen Elternteils zu erfahren.

Gutachten S. 93

Führen Sie Gesprächstermine mit Eltern, bei denen es zu häuslicher Gewalt kam, getrennt durch.

Die gewaltbetroffene Person hat (häufig jahrelange) Gewalt, Einschüchterung, und Manipulation durch den anderen Elternteil erfahren. Vor diesem Hintergrund wird es ihr nicht möglich sein, bei gemeinsamen Gesprächsterminen offen zu sprechen. Eine Regelung zum Wohl des Kindes kann jedoch nur gefunden werden, wenn jede Perspektive miteinbezogen und die gewaltbetroffene Person vor einer Retraumatisierung geschützt wird. 

Berücksichtigen Sie immer die psychischen und gesundheitlichen Folgen von (mit-) erlebter häuslicher Gewalt für Kinder.

Das reine Bezeugen von Gewalthandlungen kann bereits zu traumatischen Schädigungen bei Kindern führen. Aus diesem Grund wird häusliche Gewalt im Rahmen der Wahrnehmung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII als eine das Kindeswohl gefährdende Erscheinungsform ausgewiesen.

Nehmen Sie Sicherheitsbedenken der von Gewalt betroffenen Elterteile immer ernst.

Echte Sicherheitsbedenken für sich selbst und ihre Kinder dürfen nicht mit dem Vorwurf mangelnder Kooperation oder Manipulation ihrer Kinder begegnet werden.

Das Verständnis, dass die Ablehnung eines Elternteils durch das Kind auf der sogenannten „elterlichen Entfremdung“ beruht, ist weiterhin verbreitet. Diese und andere damit zusammenhängende Vorstellungen entbehren nachweislich jeder wissenschaftlichen Grundlage und sollten mit speziellen Schulungen und geeigneten Richtlinien abgebaut werden.

Nehmen Sie regelmäßig an Fachtagungen und Netzwerktreffen Ihrer Region teil.

Multiprofessionelle Netzwerke tragen zu einer lückenlosen Versorgung der Betroffenen bei. Werden Sie Mitglied in lokalen Gewaltschutz-Arbeitskreisen. Es ist sehr wertvoll, gemeinsam die Zusammenarbeit und Prozessabläufe der involvierten Akteur*innen festzulegen. Beziehen Sie die Frauenhäuser in Ihre regionalen Kinderschutz-Netzwerke mit ein.

Landesaktionsplan S. 45, S. 78; Gutachten S. 31, S. 40-41, S. 89

Nutzen Sie Synergien mit Frauenhäusern.

Professionelle und zeitnahe Kommunikation zwischen den Frauenschutzeinrichtungen und das Wissen um direkte Ansprechpersonen verbessert den Organisationsprozess enorm. Arbeiten Sie eng mit den Opferschutzeinrichtungen zum Schutz der Kinder  zusammen.

Landesaktionsplan S. 45, S. 73-74

Tragen Sie zur gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinsbildung bei.

Nutzen Sie die Ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle der Öffentlichkeitsarbeit, um über geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt sowie Hilfsangebote zu informieren. Weitere Informationen zur Öffentlichkeitsarbeit finden Sie hier.

Weitere Informationen für Jugendämter

Geschlechtsspezifische Gewalt meint gewaltvolle Handlungen gegenüber einem Individuum oder einer Gruppe von Indi­viduen aufgrund der Geschlechts­identität. Der Begriff wird benutzt, um zu verdeut­lichen, dass gesellschaftliche Struk­turen das Risiko erhöhen, bestimmte Formen von Gewalt zu erleben. Besonders betroffen sind Frauen und Mädchen, trans, nicht-binäre und intersex Menschen, aber auch Menschen, die bestimmten sozialen Nor­men oder einem binären Geschlechter­verständnis nicht entsprechen.