Mit der Istanbul-Konvention verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten auf allen Ebenen offensiv gegen Gewalt vorzugehen und das mit einer ganzheitlichen Gewaltschutzstrategie.

Konzeptionieren Sie eine nationale, ressortübergreifende Strategie mit intersektionaler Perspektive und setzen Sie diese um.

Seit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention wurde keine nationale Strategie entwickelt, in der bundesweite Ziele zur Umsetzung der Konvention gesetzt werden. Dabei müssen die Rechte der Gewaltbetroffenen in den Mittelpunkt aller Maßnahmen gestellt werden und dem geschlechtsspezifischen Charakter der verschiedenen Formen derartiger Gewalt Rechnung getragen werden. Bisher verabschiedete Aktionspläne auf Landesebene sind immens wichtig, können aber ein umfassendes nationales, politisches Dokument nicht ersetzen.

Richten Sie eine staatliche Koordinierungsstelle auf Bundesebene ein.

Das Fehlen eines zentralen strategischen Rahmens für die Umsetzung der Istanbul-Konvention wird durch die Tatsache verschärft, dass bis heute keine nationale Koordinierungsstelle gemäß Artikel 10 eingerichtet wurde. Eine strategische Koordinierung bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention ist dringend erforderlich, um die Umsetzung voranzubringen und ist eine Kernforderung der Konvention.

Die staatliche Koordinierungsstelle muss dabei mit ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden, ressortübergreifend und eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.

Verfassen Sie eine bundeseinheitliche Definition von Gewalt.

Als Teil der nationalen Strategie müssen auf zentraler Ebene gemeinsame Definitionen von geschlechtsspezifischer Gewalt und häuslicher Gewalt festgelegt werden. Allgemeine Grundsätze und Definitionen festzulegen ist zwingend notwendig, um einen strategischen Rahmen für die Maßnahmen aller relevanten Akteur*innen zu bieten.

Verankern Sie den Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffene Personen.

Hilfe und Schutz vor Gewalt ist ein Menschenrecht und muss nach Artikel 12 und 13 der Istanbul-Konvention für Betroffene geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt flächendeckend und bedarfsgerecht gesichtert sein. Verankern Sie diesen Anspruch im deutschen Recht und statten Sie die Umsetzung dieses Rechts mit ausreichend finanziellen Mitteln aus.

Bisher fehlen deutschlandweit etwa 14.000 Frauenhausplätze. Vielfach müssen die Schutzsuchenden Nutzungsentgelte zahlen. Auch die Beratung ist nicht flächendeckend gesichert.

Ermöglichen Sie bundesweit die Abschaffung der Nutzungsentgelte, indem Sie eine ausreichende Finanzierung der Schutzeinrichtungen sicherstellen. Ermöglichen Sie den Aus- und Umbau der Schutzeinrichtungen, um Zugangsbarrieren abzubauen und allen Betroffenen flächendeckend Schutzplätze zur Verfügung zu stellen.

Passen Sie die nationale Gesetzgebung zum Aufenthaltsrecht und Asylverfahren an völkerrechtliche Verpflichtungen an.

Laut Istanbul-Konvention müssen Gewaltschutzmaßnahmen auch in Asylverfahren ausgedehnt werden. Aktuell steht das Asylrecht vielfach in Widerspruch zum Gewaltschutz.

Unter anderem braucht es eigenständige Aufenthaltstitel für Gewaltopfer. Asylverfahren wiederum müssen geschlechtersensibel sein und den Betroffenen die Möglichkeit geben, ihre Geschichte vollständig offenzulegen, wobei die Verfolgungsgründe geschlechtersensibel ausgelegt werden müssen. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Aufnahmeverfahren und die Unterstützungsdienste für Asylbewerber*innen auf die geschlechtsspezifischen Bedürfnisse der von Gewalt bedrohten Personen abgestimmt sind.

Reformieren Sie das nationale Recht, sodass das Umgangs- und Sorgerecht die Gewaltschutzverpflichtungen deckt. Verankern Sie verbindliche Aus- und Fortbildungen für alle am Verfahren beteiligten Fachkräfte, um sie zu sensibilisieren.

Das Umgangs- und Sorgerecht steht vielfach im Widerspruch zum Gewaltschutz. Verankern Sie daher die Schutzinteressen des gewaltbetroffenen Elternteils ausdrücklich in den spezifischen Regelungen zum Umgangs- und Sorgerecht. Umgang darf weder Kindeswohl noch Gewaltschutz gefährden!

Umgangseinschränkungen und -ausschlüsse müssen konsequent genutzt werden. Die Berücksichtigung der Meinung der Kinder muss bei der Ermittlung des Kindeswohls entsprechend den völkerrechtlichen Anforderungen eine zentrale Rolle spielen – das gilt auch bei Sachverhalten mit häuslicher Gewalt in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren. Die UN-Kinderrechtskonvention geht dabei von einem viel weiteren Verständnis des Kindeswohls aus als bisher im deutschen Recht vorgesehen.

Reformieren Sie das Familienverfahrensrecht.

Im Zentrum von Familienrechtsverfahren muss, bei Anhaltspunkten für häusliche Gewalt, in erster Linie die Aufklärung der Gewaltgeschichte und die Eruierung der Schutzbedarfe stehen.

Passen Sie den Grundsatz des Hinwirkens auf Einvernehmen und den Erhalt der gemeinsamen Sorge an. Die Machtasymmetrie zwischen Betroffenen und Täter*innen in Fällen von häuslicher Gewalt stehen Verhandlungen auf Augenhöhe in der Regel entgegen.

Verankern Sie den Schutz des Aufenthaltsortes von Gewaltbetroffenen im Familienverfahrensrecht. Die Geheimhaltung des Aufenthaltsortes bzw. der Anschrift der Gewaltbetroffenen und der Kinder hat eine existenzielle Schutzfunktion, insbesondere wenn die Gefährdungslage andauert.

Sichern Sie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und ändern Sie das Strafrecht, insbesondere in Bezug auf den Vergewaltigungstatbestand, § 177 Strafgesetzbuch.

Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Die Istanbul-Konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichten die Staaten zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Dabei soll das fehlende Einverständnis der Betroffenen entscheidend für die Strafbarkeit sein. Sie darf insbesondere nicht von Gewalt durch die Täter*innen oder Gegenwehr der Betroffenen abhängen. Hier besteht Änderungsbedarf im Strafrecht, insbesondere in Bezug auf den Vergewaltigungstatbestand, § 177 Strafgesetzbuch.

Evaluieren Sie die Rechtssprechung bei Femiziden sowie die vorangegangene institutionelle Reaktion auf Gewalt.

Empfohlen wird einen Überprüfungsmechanismus für häusliche Tötungsdelikte einzuführen, um alle Fälle von geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen zu analysieren, mit dem Ziel, mögliche Unzulänglichkeiten in den institutionellen Reaktionen auf Gewalt zu identifizieren.

Darüberhinaus müssen die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass alle in Artikel 46 der Istanbul-Konvention aufgeführten erschwerenden Umstände in der Praxis von der Justiz wirksam angewandt werden.

Verbessern Sie die Rechtsprechung im Hinblick auf psychische Gewalt.

Es besteht Verbesserungsbedarf und braucht die Anpassung des Strafrechts an die Istanbul-Konvention im Hinblick auf die Ahndung als Straftat.

Um wie in Artikel 33 der Istanbul-Konvention gefordert, alle Handlungen, die die psychische Unversehrtheit einer Person ernsthaft beeinträchtigen, wirksam unter Strafe zu stellen, sollte die Schaffung einer gesonderten Straftat in Betracht gezogen werden.

Weitere Informationen für die Bundesebene

Geschlechtsspezifische Gewalt meint gewaltvolle Handlungen gegenüber einem Individuum oder einer Gruppe von Indi­viduen aufgrund der Geschlechts­identität. Der Begriff wird benutzt, um zu verdeut­lichen, dass gesellschaftliche Struk­turen das Risiko erhöhen, bestimmte Formen von Gewalt zu erleben. Besonders betroffen sind Frauen und Mädchen, trans, nicht-binäre und intersex Menschen, aber auch Menschen, die bestimmten sozialen Nor­men oder einem binären Geschlechter­verständnis nicht entsprechen.